Lösungsvorschläge für die Gesellschaft
Die Auswahl und die Qualität der gut 50 Referentinnen und Referenten in Fribourg war stark: Deutschsprachige Denker und Kommunikatoren wie Ralph Kunz, Johannes Hartl, Heinrich Bedford-Strohm, Gudrun Nassauer oder Esther Maria Magnis beeindruckten ebenso wie Tom Holland, Graham Tomlin und weitere Referenten aus dem englischsprachigen Kulturkreis. Den zehn Plenarvorträgen und 25 Workshops war gemeinsam das grosse Anliegen, einen deutlichen Gegenakzent zum vielfach schwindenden Einfluss von christlich geprägten Ansätzen und Lösungen in der Gesellschaft zu setzen.
I ha nes Zündhölzli azündt
Prof. Ralph Kunz (Zürich) ging von dem Emil-Brunner-Zitat aus «Die Kirche existiert durch die Mission wie das Feuer durchs Brennen». Ähnlich wie das Zündhölzli von Mani Matter habe die «Initialzündung» von Jesus, verstärkt durch Pfingsten, die Welt verändert – eine Geschichte der Brandstiftung. Neben dem heiligen Feuer gebe es aber auch immer wieder selbstgemachte Flammenwerfer, und auch Angezündete könnten – ähnlich wie die Jünger nach der Kreuzigung – ein «burn-out» erleben. Und doch sehne sich, so Kunz, unsere Gesellschaft nach diesem Feu Sacré: «Die Sehnsucht bleibt» hält zum Beispiel die NZZ fest.
Offensive Heiligkeit
Der verändernden Kraft des Evangeliums spürte Prof. Gudrun Nassauer (Fribourg) nach: Christen entwickelten eine neue Sozialstruktur, die Klassen und Grenzen überwand und lebten einen Lebensstil der Liebe nach innen und nach aussen. Ihr Geheimnis: Sie sahen sich als «in Jesus» und damit wirkte Christus durch sie, nicht sie selbst. Was die Referentin aktuell begeisterte: dass sich in Frankreich in diesem Jahr 32 Prozent mehr junge Menschen und Erwachsene als Glaubende taufen liessen (Livenet berichtete). Auch hier: Der Hunger wächst.
Grösste unerreichte Volksgruppe: das Internet
In einer Podiumsdiskussion gingen Johannes Hartl (Augsburg), Stephan Jütte (reflab Zürich) und Julia Garschagen (Pontes-Institut Köln) auf (verpasste) Gelegenheiten und Chancen der christlichen Botschaft im Internet ein. «Warum bekommen christliche Inhalte vergleichsweise wenige Klicks?», fragte Johannes Hartl, der immerhin über 100`000 Follower hat. Im Internet werde der Kult der Selbstdarstellung aktiv gefördert – viele Beiträge seien «Narzissmus auf Steroiden». Während sich Jütte nicht als Gegensatz zur Gesellschaft sieht, merkte Hartl kritisch an, dass die Kirche oft dasselbe wie eine Partei sage, nur schlechter: «Wenn ich im evangelischen Gottesdienst das gleiche höre wie im grünen Parteitag, warum dann noch das fromme Brimborium?» Garschagen wies aus eigener Erfahrung auf die Hoffnung hin, die der Glaube gerade Klima-Verunsicherten gebe.
Die gesellschaftliche Alternative
Immer wieder wurde deutlich, wie Christen gerade durch ihr Anderssein ihre Gesellschaft langfristig prägten. Der britische Star-Historiker Tom Holland betonte, wie anstössig und ungeheuerlich es für Römer gewesen sei, dass Paulus einen schändlich Gekreuzigten als Welterlöser predigte. Und doch habe gerade der Gekreuzigte die Welt nachhaltig verändert – Errungenschaften wie Bildung, Medizin für alle oder Menschenrechte seien aus dem Evangelium erwachsen.
Prof. Benjamin Schiesser (Uni Bern) wies nach, wie Christen die einzigen waren, die sich um die Neugeborenen kümmerten, von denen die Römer jährlich eine halbe Million aussetzten – und wie sie aus dieser Haltung eine Ethik des Lebensschutzes, ein Erbarmen für Kranke und eine Kultur inklusiver Solidarität entwickelten. Heute sei die Kirche «wieder auf dem Weg an den Rand der Gesellschaft. Das wirft uns in die Anfangszeit zurück», hielt Schiesser fest – mit allen ethischen Herausforderungen der Neuzeit.
Kunst als Akt des Mitfühlens
Einen wesentlichen Platz nahm die Kunst ein, die ein Zeugnis ohne Worte darstellt. Der Künstler und orthodoxe Theologe Peter Bouteneff etwa betonte die empathische Kraft der Kunst, die Christen ausüben könnten. Der Maler Michael Triegel fand über die Kunst zum Glauben und möchte «vom Heiligen erzählen», während die deutsche Autorin Esther Maria Magnis aus ihrem autobiographischen Bestseller «Gott braucht dich nicht» las.
Morgen-, Mittags- und Abendgebetszeiten, gestaltet durch Brüder aus Taizé und Freiburger Studenten, gaben den Studientagen einen willkommenen geistlichen Rahmen. Das Forum Glaube & Gesellschaft wurde veranstaltet vom gleichnamigen Zentrum, das seit dem 1. Juni 2024 unter der Leitung von Dr. Oliver Dürr steht. Die Studientage fanden zum zehnten Mal statt, was in einer Jubiläumsfeier am Freitag gewürdigt wurde.
Sehen Sie hier den LIvenet-Talk mit Oliver Dürr zum Thema «Das christliche Zeugnis in der Gesellschaft» an:
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