«Der Ton ist rauer geworden»
Praktischer Theologe, Professor, frisch eingesegneter Rektor der CVJM-Hochschule in Kassel, Familienvater, Blogger und Autor – Tobias Faix ist ein hochaktiver Mensch. Vor allem hat er sich mit den Forschungsprojekten seines Instituts Empirica einen Namen gemacht. Ob es um den Glauben von jungen Menschen geht («Generation Lobpreis») oder die, die nicht mehr glauben – er erforscht die heissen Themen im christlichen Lager. Im Gespräch mit Flo Wüthrich kickt er einige davon an und regt zum Weiterdenken an.
Soziale Gerechtigkeit, Schöpfung und Nachhaltigkeit?
In einer Studie für die «Stop Armut»-Konferenz in Biel kam Interessantes ans Licht: «Hochreligiöse Menschen» halten soziale Gerechtigkeit und Sorge um die Schöpfung generell für sehr wichtig. Spannungen entstehen da, wo man «Evangelisation und soziale Gerechtigkeit» in eine Prioritätenliste einordnen müsste («In der Evangelisation geht’s halt um ewige Dinge») oder auch, wenn man die Zukunftserwartung ins Bild bringt: Wer Weltuntergang und eine «krasse Neuschöpfung» erwartet, setzt sich tendenziell weniger für die Erhaltung der Schöpfung ein als der, der den Himmel auf die Erde herabkommen sieht und damit diese Erde irgendwie mit der Zukunft verbindet. Eine weitere Rolle spiele das Gottesbild: Ein «kontrollierender» Gott mache passiver, ein «offenes Gottesbild», das mich in die Verantwortung nimmt, führe zu einem aktiveren Engagement für die Schöpfung.
Angst vor der Zukunft: Junge nicht mehr als Ältere
Für Faix war es «total überraschend», dass die Angst vor der Zukunft bei jüngeren Christen nicht generell grösser ist als bei älteren. Es gibt Einzelthemen, wo Unterschiede messbar sind: Der Klimawandel etwa spielt für die Jungen eine stärkere Rolle. Wenn man aber das ganze Bild «Zukunft» in den Blick nimmt, verteilen sich die Ängste über die Generationen ziemlich gleich.
Stichwort Jugend: Faix liegt die «interessante neue Generation» sehr am Herzen. «Sie wollen etwas was bewegen, sind hoch engagiert», erlebt er. Was ihm Sorge macht: «Sie fremdeln mit der Lehre und Praxis ihrer Heimatgemeinde. Ihr Gemeindebezug nimmt ab.» Seine Ermahnung an Gemeinden: «Wo kommen die Themen dran, die Junge interessieren? Themen wie Ökologie und Schöpfung spielen in Gemeinden kaum eine Rolle.» Faix sieht hier die Älteren in der Verantwortung, generationenübergreifend arbeiten zu lernen.
Warum ich nicht mehr glaube
«Das war eine spannende und auch schmerzhafte Studie», bekennt Faix. In der Untersuchung, die 2021 als Buch erschien und mittlerweile in der 5. Auflage auf dem Markt ist, hat er zusammen mit Tobias Künkler Leute interviewt, «die mal geglaubt haben und dann nicht mehr konnten oder wollten». Die Gründe sind sehr unterschiedlich: Da gibt es moralisch-ethische Gründe, die zur gefühlten Ausgrenzung führten. Weiter intellektuelle Gründe, wenn das Gottesbild mit dem Erleben nicht mehr zusammenpasst. Es gibt aber auch die, deren Glaube sich einfach «ausgefädelt» hat: Umzug, keine Gemeinde mehr – der Glaube ist einfach eingeschlafen und man stellt plötzlich fest: «Mir fehlt eigentlich nichts.» Und dann schliesslich die, die geistlichen Druck bis hin zu geistlichem Missbrauch erlebt haben. «Solche Erfahrungen und Verletzungen brauchen Jahre, bis sie heilen können.»
Sexualität unter Christen
Eine grosse Studie zu diesem Thema ist in Arbeit: «Wir haben 10`000 Teilnehmenden einen Fragebogen ausfüllen lassen zu einem Thema, das stark polarisiert.» Es geht um Sexualität unter Christen. Faix hofft, im kommenden Jahr dadurch eine fruchtbare Diskussion auslösen zu können.
Der Ton ist rauer geworden
Auf die Frage, was Faix am meisten Sorgen macht, wenn er in die christliche Szene in D-A-CH (Deutschland, Österreich, Schweiz) schaut, spricht Faix den Ton an, der rauer und härter geworden sei. «Unser Einfluss schwindet, eigentlich sollten wir mehr zusammenarbeiten und den Leib Christi in seiner Buntheit abbilden. Stattdessen beobachte ich mehr Grabenkämpfe, sicher gefördert durch die sozialen Medien.» Faix weiter: «Ich bin sehr für theologische Diskussionen und verschiedene Meinungen – aber wie gehen wir damit und miteinander um? Eigentlich eint uns Christus – er ist das Haupt, wir seine Glieder.»
Faix wünscht sich mehr Sachlichkeit und Miteinander und dass man auch mal das Gemeinsame betont. «Es müssen sich alle fragen: Welche Verantwortung habe ich? Es geht schliesslich nicht um uns, sondern um das Reich Gottes und Christus, der angebetet werden soll.»
Sehen Sie sich den Talk mit Tobias Faix an:
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