30 Jahre Völkermord – 30 Jahre Versöhnung

Die junge Generation Ruandas lebt heute Versöhnung.
Die vorige Generation in Ruanda erlebte 1994 einen der blutigsten Völkermorde der Geschichte. Die jetzige schaut in ein versöhntes Land. Es ist nicht alles gut in Ruanda, aber der jahrelange Vergebungsprozess hat vieles verbessert.

Ruanda hat 13 Millionen Einwohner und ist flächenmässig etwa so gross wie Baden-Württemberg. Doch wer den Namen hört, denkt weniger an Berggorillas oder Musik, Tanz und Poesie als vielmehr an die schrecklichen Ausschreitungen, die am 7. April 1994 ihren Ausgang nahmen. Damals ermordeten Angehörige der Hutu-Mehrheit geschätzt fast eine Million Tutsi und auch Hutu, die sich nicht am Völkermord beteiligten. Das heutige Ruanda hat mit dem Land vor 30 Jahren allerdings nur noch wenig gemeinsam. Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist ein vorherrschender Wert, der teils überzeugend, teils mit viel Druck weitergegeben und gelebt wird.

Rückblick

Am 6. April 1994 wurde ein Flugzeug bei der Landung in Kigali abgeschossen. An Bord war Ruandas Präsident Juvénal Habyarimana, ein Hutu. Die Täter sind bis heute nicht ermittelt. Der herrschenden Hutu-Volksgruppe kam dieses Attentat gelegen. Sie machte die ohnehin schon bedrohte Minderheit der Tutsi dafür verantwortlich und ging mit Regierungstruppen, Polizei und später immer stärker auch durch Privatpersonen gegen sie vor. Innerhalb von 100 Tagen wurden so bis zu einer Million Menschen ermordet. Was mit der Erschiessung einzelner Leitungspersonen begann, eskalierte zum Massenmord durch Knüppel und Macheten.

Die UN und andere internationale Beobachter hatten zwar vorher bereits Hinweise auf geplante Gewalttaten, weigerten sich aber wochenlang, gegen das «innerstaatliche Chaos» einzuschreiten – hätten sie es Völkermord genannt, wären sie dazu verpflichtet gewesen. Erst ab Mai 1994 begann die internationale Völkergemeinschaft zu reagieren, aber das Massaker endete erst, als die Rebellen der «Ruandischen Patriotischen Front» (RPF) die Hutu-Milizen im Juli 1994 besiegten. Als Folge hat praktisch jede Familie aus der Volksgruppe der Tutsi Tote zu beklagen, Millionen flohen und Hunderttausende Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt. Bis heute prägen Menschen, die durch die Gewalttaten verstümmelt wurden, das Strassenbild. Über eine von ihnen und ihre Geschichte aus Verfolgung, Verletzung und Vergebung berichtete Livenet zum 20. Jahrestag: Alice Mukarurinda.

Ruanda heute

Heute ist Ruanda deutlich entwickelter als damals. Die Strassen in der Hauptstadt Kigali sind glatt geteerte. Der Verkehr läuft für afrikanische Verhältnisse sehr ruhig ab – selbst E-Motorroller, mit denen Passagiere durch die Stadt befördert werden, sind keine Seltenheit. Es herrscht sogar Helmpflicht, und sie wird auch eingehalten. Die Wirtschaft des kleinen Binnenstaates wächst. Auf der einen Seite liegt dies daran, dass «Zusammenhalt» das neue Motto des Staates ist. Stammesbezeichnungen wie Hutu, Tutsi oder Twa sind aus den Papieren verschwunden – es ist sogar verboten, sie zu gebrauchen. Viele Ruander halten sich sicherheitshalber aus politischen Gesprächen jeder Art heraus, um nichts Strafbares zu sagen, denn das Sicherheitsbedürfnis war und ist nach wie vor gross.

Doch die grundsätzlich positive Entwicklung lässt sich längst nicht nur über öffentlichen Druck erklären. Gerade in der Anfangszeit gab es eine gross angelegte Versöhnungswelle durch Versöhnungskommissionen, bei denen Opfer zu Wort kamen und Täter mit den Folgen ihrer Taten konfrontierten. Diese christlich motivierte Versöhnung wurde ein Motor zur Aufarbeitung. Dazu kommt eine gepflegte Erinnerungskultur. An zahlreichen Mahnmalen und Gedenkstätten wird zum teil drastisch auf den Genozid hingewiesen – zum Beispiel mit der eindrucksvollen «Wall of Names», einer langen Mauer, in der in kleiner Schrift die Namen aller Menschen eingraviert sind, die 1994 auf den Strassen Kigalis getötet wurden.

Zwischen Staatstrauer und Versöhnung

Mit dem 7. April beginnen nun 100 Gedenktage in Ruanda. Kritiker sehen allerdings, dass dieses Gedenken nicht nur heilsame Auswirkungen haben kann, sondern auch das Trauma der Überlebenden wachhalten und in die nächste Genertion hinübertragen könnte. Die meisten scheinen es trotzdem wichtig zu finden, sich zu erinnern und nicht zu vergessen. Valens Niragire, ein katholischer Priester, meint dazu: «Es ist immer auch eine Zeit grosser menschlicher Solidarität. Für mich sind die Gedenktage jedes Jahr eine Erinnerung daran, dass Brüderlichkeit und Versöhnung möglich sind.»

Zum Thema:
Ruanda: Vom Genozid zur Jagd auf Evangelische
Dem Tod ins Auge geblickt: Sie überlebte Völkermord – und rät zur Vergebung
Josephine Niyikiza: In die Schweiz geflohen – heute ist sie Helferin

Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

Werbung
Livenet Service
Werbung