«Freiheit zur Abtreibung» jetzt in Frankreichs Verfassung
Mit 780 Ja-Stimmen und 72 Nein-Stimmen in beiden Kammern beendete das Parlament den Widerstand der letzten Monate und die Kämpfe der letzten Jahre und nahm den Text eines neuen Verfassungsartikels an, der wie folgt lauten wird: «Das Gesetz legt die Bedingungen fest, unter denen die garantierte Freiheit der Frau, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, gewährleistet ist.»
Es war der französische Präsident Emmanuel Macron, der diesen Schritt vorantrieb. Im März 2023 hatte er erklärt, Frankreich werde «das Recht der Frauen auf Abtreibung 2024 unumkehrbar machen» und die Parlamentarier aufgefordert, «so schnell wie möglich» eine Einigung zu erzielen. Die jetzige Formulierung einer «garantierten Freiheit zum Abbruch» bewerten Experten als dehnbarer und also rechtlich etwas schwächer.
Jede vierte Schwangerschaft gewaltsam beendet
Seit 1975 sind Abtreibungen bis zur zehnten Schwangerschaftswoche in Frankreich straffrei. Im Herbst 2020 verlängerte die Nationalversammlung nach hitzigen Debatten die Frist für straffreie Abtreibungen von 12 auf 14 Wochen, die Kosten übernimmt die Krankenkasse. Seit 2001 werden in Frankreich im Jahresdurchschnitt rund 230'000 Abtreibungen vorgenommen, etwa ein Viertel davon ausserhalb von Spitälern. Etwa jede vierte Schwangerschaft wird dadurch beendet. Die Einnahme von Abtreibungspräparaten zu Hause ist bis zur siebten Woche gestattet.
«Andere Länder inspirieren»
Auslöser für die Verfassungsänderung in Frankreich war nicht zuletzt eine politische Entscheidung auf der anderen Seite des Atlantiks. Im Sommer 2022 hatte der Supreme Court in den USA das Urteil «Roe v. Wade» von 1973 gekippt – und damit auch das bundesweite Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. Dies führte in Frankreich zu heftigen öffentlichen Debatten und unter anderem zum Druck durch Präsident Macron.
Einige Befürworter der IVG (französische Abkürzung für «freiwilliger Schwangerschaftsabbruch») erklärten, die Entscheidung von Paris werde nun andere Länder in Europa «inspirieren», die «Freiheit der Frauen» zum Schwangerschaftsabbruch zuzulassen.
Es ist noch nicht klar, ob es der Mehrheit gelingen wird, das übliche Referendum zu vermeiden, das erforderlich ist, um die Zustimmung des Volkes zu Verfassungsänderungen zu bestätigen. Das Europäische Parlament hatte bereits im Juli 2022 einen Antrag angenommen, wonach Abtreibung in der gesamten EU ein «Grundrecht» sein sollte. Der Text ist nicht bindend und hat keinen Einfluss auf nationale Gesetze.
«Kein Recht, menschliches Leben zu vernichten»
Während der Abstimmung protestierten mehrere Hundert Abtreibungsgegner in der Nähe des Kongresses in Versailles. Auch die katholische Kirche machte deutlich, dass sie Abtreibungen weiterhin ablehnt. Die Päpstliche Akademie für das Leben teilte mit: «Im Zeitalter der universellen Menschenrechte kann es kein 'Recht' geben, ein menschliches Leben zu vernichten.» Die Pro-Life-Bewegung ist im katholischen Milieu Frankreichs stark vertreten, wie die «Marches pour la Vie» zeigen.
Evangelikale Organisationen wie das Protestantische Komitee für Menschenwürde (CPDH) hatten bereits früher festgestellt, dass die Abtreibung für die parlamentarische Mehrheit «zu einem Dogma geworden ist». Dies erkläre, so CPDH-Präsident Frank Meyer, «die Weigerung, das Leid der Frauen anzuhören, die abgetrieben haben, und den Wunsch, diesen Vorgang zu verharmlosen und zu konstitutionalisieren».
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