Künstliche Intelligenz: Segen oder Schreckgespenst?
«Die KI erzeugt intelligent wirkendes Verhalten mit Hilfe des Computers» war eine der Definitionen, die Prof. Stadelmann (Winterthur) den rund 70 anwesenden Leitern, Politikern und interessierten Männern und Frauen am 16. Januar in Thun mitgab. Nach einer Schnell-Einführung in Funktionsweise und Möglichkeiten der KI ging der Referent auch auf die ethisch-gesellschaftlichen Dimensionen der rasanten digitalen Entwicklung ein – was die Zuhörenden im Diskussionsteil naturgemäss am meisten interessierte.
«Das ist der Hammer!»
KI sei keine «Persönlichkeit», sondern lediglich ein Werkzeugkasten – sollte also eher mit einem Hammer als mit einem Menschen verglichen werden. Anhand eines fiktiven Zitates erklärte Stadelmann in konzentrierter Form, wie die «sehr gut gelernte Wahrscheinlichkeitsverteilung» unter Benutzung aller 175 Milliarden bekannten Internet-Einträge funktioniert und solch einen Satz erzeugt. Stadelmann: «Es wirkt wie Intelligenz, ist aber nur eine Funktion und kann nur Plausibilitäten aussprechen.» Die Frage «Schatz, sehe ich gut aus in diesem roten Kleid?» könne KI nicht intelligent beantworten – jedenfalls nicht zur Zufriedenheit der Ehefrau.
«Unglaublich nützlich und brauchbar»
Für qualitativ hochstehende Texte, Bilder und zunehmend auch Videos sei die künstliche Intelligenz aber heute schon enorm wertvoll; gerade habe sie zum Beispiel gelernt, aus Fotos Objekte zu extrahieren. Für die Forschung und wissenschaftliche Arbeit nehme der Wert immer mehr zu. So lerne die KI etwa, ein PDF-Dokument mit wissenschaftlichen Formeln in einen Artikel für Blinde zu übersetzen – «mit 85prozentiger Richtigkeit». Das reiche natürlich für die meisten Fachbereiche und Anwendungen nicht aus – «darum wird die KI noch nicht morgen die Welt übernehmen», so Stadelmann.
Gesellschaftliche Konsequenzen
Die oft gehörte Befürchtung «KI wird unsere Jobs ersetzen, unsere Arbeitsplätze sind in Gefahr» beantwortete Stadelmann (wie viele andere Forscher) mit der Prognose: «KI wird nicht Menschen ersetzen, aber Menschen mit KI werden Menschen ohne KI ersetzen.» Firmen müssten darum daran arbeiten, ihre Mitarbeitenden auf alle Art und Weise in den Gebrauch der KI einzuführen.
Macht KI Angst? Nach Überzeugung Stadelmanns sind es eher dystopische (negativ-zerstörerisch orientierte) Weltanschauungen, die Angst machen, nicht die wissenschaftlichen Erkenntnisse an sich: «Es gibt im Moment keine wissenschaftlichen Fakten, die einen in die Nähe dieser Ängste bringen.» Und: «Je mehr gute Leute KI zum Guten einsetzen, um so weniger werden die Unheilspropheten Recht bekommen.»
Konkrete Befürchtungen
Die konkreten Ängste kamen im Frageteil nach dem Mittagessen zum Ausdruck. Es wurde etwa gefragt, ob KI zu einem Meinungsmonopol führt – dass alle nur noch dasselbe denken und abweichende Meinungen nicht toleriert würden. Stadelmann leugnete nicht, dass die Antworten, die man von KI-Chatbots bekomme, weltanschaulich lokalisierbar seien – ChatGPT aus Kalifornien etwa «links der Mitte». Gerade darum brauche es eben mehrere Anbieter. Die Künstliche Intelligenz von Meta beispielsweise sei Open Source, und jeder könne sie an seine Vorstellungen und Bedürfnisse anpassen.
Eine andere Befürchtung sind Fake News bzw. Fake Persons: So reichen drei Sekunden Originalaufnahme, um eine Stimme (fast perfekt) zu faken – was z. B. auf TikTok dazu führen kann, dass Jugendliche unwissentlich mit einem Computer statt mit ihren Freunden reden. Stadelmanns Überzeugung: «Irgendwann wird sich die Gesellschaft dran gewöhnen, dass man niemandem mehr vertrauen kann. Ich bin Optimist und meine Prognose ist: Echte Beziehungen werden wieder wichtig. Ich vertraue wieder mehr meinen persönlichen Freunden.»
Macht KI krank?
Eine abschliessende Frage schien viele zu beschäftigen: «Alles wird schneller. Was müssen wir tun, dass uns nicht der grösste Teil der Menschen krank werden, weil sie durch das Tempo und die Wissensflut völlig überfordert sind?» Irgendwann gehe es immer auch um menschliche Fragen. Stadelmanns Überzeugung: «Wir müssen heute immer mehr `Effizienzkompetenz` erwerben, das heisst lernen, wie mit den Möglichkeiten umzugehen ist.» Und weiter: «Lernen wir, auf uns aufzupassen; zum Beispiel kann die Herausforderung darin liegen, dass wir wieder Glauben lernen», schloss er und machte kein Hehl aus der Tatsache, dass er aus dem christlichen Glauben viel Kraft zieht und sich von daher im Umgang mit KI eher als Hoffnungsträger als als Pessimist versteht.
Prof. Dr. Thilo Stadelmann ist Professor für künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen und Direktor des «Center for Artificial Intelligence» an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), einer der führenden Schweizer Hochschulen. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Entwicklung der KI und hat zahlreiche Fachbeiträge dazu verfasst.
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