Jesus Freaks schrieben und sind Geschichte

Junge Freaks am «Freakstock»
1991 war das legendäre Jahr, als in Hamburg drei Leute etwas mit Jesus bewegen wollten und somit die Jesus Freaks entstanden. Die Schweiz wurde auch vom Feuer erfasst. Was rund 25 Jahre pulsierte, löste sich stetig auf – nun wurde das Ende besiegelt.

Ein kräftiger Delphin in künstlichem Gewässer – so fühlt sich das Begriff-Paar «Jesus Freaks plus Strukturen» an. Es passt nicht so ganz. Die oft freiheitsliebenden Personen dahinter machen die Bewegung aus, und vor diesem Hintergrund ist auch die Auflösung hauptsächlich strukturell zu sehen.

Vor allem zwei Gründe sind für den Rückgang, auch in Deutschland, bekannt: Da sich grundsätzlich die herkömmlichen Kirchen und freien Gemeinden für Gläubige mit Tattoos und Piercings öffnen, wird es für die Freaks, wie sie sich selber nennen, einfacher, ein Teil von ihnen zu sein. Zudem erlebte auch diese Bewegung die Tendenz von Gläubigen, die sich freier bewegen und nicht mehr Mitglied einer Kirche sind. Das Gebilde mit kleinen Gruppen war schon längere Zeit fragile und jede Veränderung gut spürbar.

Anfang, Ende – und wie’s weitergeht

Denn die Blütezeit, als sich im historischen Keller Berns noch die westliche Freak-Region inklusive Neuenburger versammelten und die Lobpreislieder via Diaprojektor ausgestrahlt wurden, liegt gut 20 Jahre zurück.

So wurde am 3. September 2023 der Entscheid von einer Handvoll Schweizer Kernpersonen getroffen, die Struktur der Realität anzupassen und die organisierte Bewegung zu Grabe zu tragen.

Die Jesus Freaks, die mehrheitlich durch die Volksbibel, Martin Dreyer und das Festival «Freakstock» bekannt sind, überraschten immer wieder mit einer tiefen geistlichen Dimension, die oft erlebbar war und ist. Dies bestätigte auch unser Interviewpartner – und zeichnet eine Zukunftsvision.

Livenet war mit Christian Gauer (56), Schweizer Freak der ersten Stunde, im Austausch.

Christian Gauer

Wie war deine erste Begegnung mit den Jesus Freaks?
Christian Grauer:
Die erste Begegnung mit den Jesus Freaks (JF) war am Freakstock ‘98 in Gotha. Ich erinnere mich an jede Menge Staub, Musik und Chaos. Das totale Gegenteil waren dann die Veranstaltungen. Konzerte mit richtig guter und echter Performance, Morgengottesdienste mit Lobpreis und fetten Ansagen. Der Heilige Geist hat diese Veranstaltungen fett gesegnet. Salbung von der Mainstage für jede Menge freakiger Leute. Der Redner oder die Rednerin selber noch jung, meist aus der Metal- oder Punkszene, wie die meisten Besucher. Die Anfänge der JF St.Gallen waren geprägt von Gebet zu zweit, einmal in der Woche am frühen Morgen. Bald hatten wir Räume in der Heilsarmee, einen Clubraum und Abhängabende.

Was macht für dich einen Jesusfreak aus?
In einfachen Worten gesprochen: Ein Freak ist ein feinfühliger Bürger, der trotz aller Unzulänglichkeiten, die er bei sich und der Umgebung spürt, gelernt hat, oder es eben lernt, sich an Gott anzulehnen. Und: Er kann Ungerechtigkeit überhaupt nicht ausstehen.

Wie hast du die Entwicklung in all den Jahren erlebt?
Schwierig. Während in Deutschland Gruppen und Gemeinden bis heute existieren (trotz einer heftigen Spaltung), hat die Schweiz ein Dauerproblem mit der konsequenten Umsetzung. Ich meine, wir sind nicht Deutschland. Wir hatten in den Siebzigern und Achtzigern die New Life Bewegung. In einer solchen Gemeinde bin ich in den späten Achtzigern zum Glauben gekommen. Irgendwann hat sich die New Life St.Gallen den Baptisten angeschlossen. Seitdem war ich so ein bisschen ein Streuner, habe aber trotzdem an meinem geistlichen Fundament gearbeitet. Ich meine, in der Schweiz sind wir erstens dezentrale Machtverteilung gewohnt, und zweitens hatten und haben viele freie Gemeinden ein Herz für freakige Menschen. Also haben hier viele von uns eine Heimat in einer Gemeinde gefunden. Darum braucht es vielleicht auch nicht die Freaks als Gemeinde.

… und die Gemeinschaft untereinander?
In St.Gallen waren wir schon so etwas wie Familie. Treffen am Dienstag zum Essen und Freitag zum Abhängabend. Und Menschen, die den Spirit der Freaksbewegung kennen, das erdige, familiäre, dieses Homecoming-Gefühl, werden sich immer wieder von null auf hundert verstehen, auch wenn sie sich lange nicht gesehen haben.

Beschreib uns gerne ein Highlight aus dieser Zeit.
In der Schweiz war sicher der zehnjährige Weg von JF SG ein Highlight. Drogenabhängige kamen zum Glauben, wir hatten fette, echte Gemeinschaft, wir hatten Konzerte, und ein Festival im Toggenburg, das Härdöpfelstock.

Du hast noch eine Vision auf dem Herzen.
Ich denke, Gott hat dieser Generation einen bestimmten Segen gegeben, sagen wir dem einmal Freakssegen. Menschen aus der Musikkultur mit etwas verschrobenen Ansichten gründen Gemeinden, sind eine Bewegung. Unsere Art, meine Art der Nachfolge. Sich an einem Musikfest wohlzufühlen, wenn die Bässe dröhnen, wenn es laut und deutlich zu und hergeht, wenn der Lobpreis auch mal gegrunzt daherkommt. All dies, das etwas freakige Verständnis von Gemeinde, braucht es immer noch. Die kompromisslose Auslegung der Bibel. Ein wenig schwarz-weiss. Das offene Verständnis, das der letzte Hanswurst bei Jesus willkommen ist, dass er reinbrüllen darf, auch im Gottesdienst. Solche Sachen, denke ich, sind immer noch auf Gottes Herz. Weniger das Rituelle, Sakrale, in vielen Kirchen.

Darum: Wir sind vielleicht keine Bewegung mehr in der Schweiz. Aber es braucht uns, die wir wissen, wie Freaksgemeinde duftet. Also mischen wir den Kuchen mal tüchtig auf. Das ist immer noch unsere Berufung, trotz aller Makel, Fehler, Unzulänglichkeiten. Und: dass wir das ganze Wort Gottes ernst nehmen.

Zum Thema:
Freak-Bilanz 2020: Jesus-Freaks mit Gemeinden und Prophetie-Pool
Kirche mal anders: Die Braut Jesu – schwarz?
Jesusfreak Festival: Freakstock: Vom Festen und fester Nahrung

Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet

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