Zwischen Raketen und Hoffnung

Tel Aviv, eine Grossstadt in Israel
Rund eine Stunde nach seinem Besuch in Sderot schlugen die Raketen aus Gaza ein: Livenet-Reporter Daniel Gerber besuchte Israel mehrfach. Zum 75-Jahre-Jubiläum der Nation blickt er zurück auf facettenreiche Begegnungen im Land der Bibel.

Am 14. Mai feiert Israel seinen 75. Geburtstag. Ich habe Israel mehrfach besucht und verfasste unter anderem das Buch «Ich kämpfte für Arafat», zusammen mit dem früheren Fatah-Scharfschützen Tass Saada; mehr dazu später.

Unter anderem bereiste ich als Presse-Attaché gemeinsam mit einer Delegation von fünf Nationalräten verschiedene Schauplätze der Gegenwart sowie der vielfältigen Geschichte des Heiligen Landes. An der Grenze zum Libanon und Syrien informierte sich unsere Delegation über die Bedrohung durch die Nachbarstaaten, die offiziell im Krieg mit Israel stehen – im Folgejahr 2010 brach der Arabische Frühling in Syrien aus und bald danach brach der Islamische Staat IS über Syrien herein.

Spielen im Bunker

Die latente Bedrohung für Israel wurde den Besuchern aus Helvetien hautnah bewusst. An einem Vormittag waren die Parlamentarier in der Stadt Sderot bei Bürgermeister David Bouskila zu Gast. Dieser erklärte: «8'000 Raketen sind in den letzten acht Jahren allein auf dem Stadtgebiet niedergegangen. 70 Prozent der Bevölkerung sind in psychologischer Behandlung.»

Man habe nur 15 Sekunden von der Zeit des Abschusses bis zum Einschlag. Darum stehen überall Bunker. Damit Kinder zum Beispiel Geburtstagspartys feiern können, wurde ein grosser Spielbunker errichtet. Ansonsten wäre eine Feier mit vielen Teilnehmern zu gefährlich.

Knapp den Raketen entkommen

Um 12:00 Uhr verliessen wir die Stadt. In einer kleinen Imbissbude ausserhalb Sderots legten die Parlamentarier eine kurze Mittagsrast ein. Das Restaurant lag ebenfalls in Raketenreichweite. Was wir nicht wussten: Eine Attackenwelle lag unmittelbar bevor.

12:40 Uhr: Die Fahrt ging weiter, in Richtung Tel Aviv. Noch während der Fahrt stand Sderot, der Ort, denn wir soeben besucht hatten, unter Raketenbeschuss. Eine Frau wurde verletzt, sie brach sich ein Bein auf der Flucht vor dem Geschoss.

«Kein Krieg mehr!»

Daniel Gerber

In der Knesseth traf sich die Gruppe «Schweiz Israel» zu Gesprächsrunden mit Politikern von links bis rechts. So etwa mit David Rotem (Parteichef von «Unser Haus Israel»). In seiner Kindheit flüchteten die Eltern mit ihm aus Nazi-Deutschland ins heutige Israel. «Sie machten mir Hoffnung. Wir werden nun niemals mehr bekriegt, sagten sie.» Die Realität freilich sah anders aus.

«Später sagte ich dann meinen Kindern, dass wir nun hier in Frieden leben werden.» Leider habe er sie enttäuscht. «Heute sage ich meinen Grosskindern, dass sie dereinst in Frieden leben werden. Und ich bin sicher, dass es diesmal stimmen wird.»

In Ramallah trafen die Besucher aus Europa den stellvertretenden Aussenminister der palästinensischen Autonomiebehörde Ahmed Sabah, der betonte, der international gepriesenen «Zweistaatenlösung» werde nur dann zugestimmt, wenn die Palästinenser Ostjerusalem als Hauptstadt erhalten werden. Dem werde Israel nie zustimmen, schilderte die israelische Seite. Jerusalem sei nie eine Hauptstadt eines anderen Landes gewesen, und vorher habe es zu Jordanien gehört.

120 Raketen auf eine Schweizer Farm

Einen Einblick in den Alltag an der libanesischen Grenze erhielt die Delegation in ihrem eng getakteten Terminkalender bei Daniel Däster im Kibbutz Malkiya. Der Schweizer lebt hier seit rund drei Jahrzehnten, er half, eine sozialistische Farm aufzubauen.

Für ihn ist die islamische Hisbollah, aufgerüstet und bepfründet durch den Iran, täglicher Terror: «120 Raketen gingen auf meinem Land nieder. Man hört einen dumpfen Knall, wenn sie abgefeuert werden. Dann hat man etwa zehn Sekunden Zeit, in einen Bunkerraum zu rennen.» Abgefeuert werden diese gerne um die Uhrzeit, zu der die Kinder auf dem Weg zur Schule sind. Die Hisbollah beobachtet die Grenze. Auch die parlamentarische Gruppe sah den Posten der «Partei Allahs», wie sich die schiitische Partei bezeichnet.

Einwanderer aus Ostafrika und Indien

Ich habe die vielfältige Einwanderung von Juden aus aller Welt für Livenet publizistisch begleitet. Unter anderem mit einem Exklusivinterview mit Michael Freund, Publizist bei der «Jerusalem Post» sowie Direktor von «Shavei Israel», einer Organisation, welche die Einwanderung «verlorener Stämme» fördert.

Berührend berichtete Michael Freund, wie die Bnej Menashe während 2'700 Jahren im Exil in den indischen Bundesstaaten Manipur und Mizoram ausharrten und dabei ihre jüdischen Wurzeln und Traditionen nie vergassen. In den letzten Jahrzehnten wanderten hunderte indische Juden ins Land der Bibel ein.

Zum vielfältigen Mosaik der jüdischen Gesellschaft zählen mittlerweile mehrere tausend Nachkommen des Stammes Dan – die Falascha Mora – die aus Ostafrika ins Heilige Land eingewandert sind, wie Gerald Gotzen Unterstützer und Freund der äthiopischen Juden, mir gegenüber in Addis Abeba berichtete. Gerald Gotzen erinnerte sich, wie die äthiopische Regierung 1991 kollabierte. Tausende äthiopische Juden lagerten um die israelische Botschaft. Durch die «Operation Salomo» wurden innerhalb von 30 Stunden 14'000 Juden ausgeflogen. Unter anderem mit einer Boeing 747, bei der die Sitze aus Gewichts- und Platzgründen entfernt worden waren. Die Menschen sassen am Boden. Gerald Gotzen: «Trotzdem war es sehr ruhig und ordentlich. Vor dem Abflug wurden 1087 Personen gezählt. Alle in einem einzigen Jumbo! In Tel Aviv wurde viereinhalb Stunden später nachgezählt. Jetzt waren es 1'097 Passagiere. Denn im Flugzeug kamen zehn Babys zur Welt. Der Pilot weinte. Die Emotionen rissen alle mit.»

Cobra-MG und historische Taufe

Bei den Aufzeichnungen für das Buch «Ich kämpfte für Arafat» mit dem früheren Fatah-Scharfschützen Tass Saada lebte ich für einige Zeit im Gaza-Streifen. Eines Morgens sind ab 6:00 Uhr bis in den Nachmittag hinein Schüsse zu hören. Gespenstisch hallen die Echos zwischen den Häusern. Irgendwann hämmert eine israelische Cobra – ein Kampfhubschrauber – mit seinem Bord-MG eine Salve in ein leeres Feld, um Präsenz zu markieren.

Wir schreiben die Tage, in denen die Hamas in Gaza die Macht der Fatah entrissen hat und nach einer gewissen Entspannung in den Vorjahren die Gegend wieder in einen Strudel der Gewalt zieht. Gibt es Hoffnung für Gaza? Die Frage durfte vor Ort mit «Ja» beantwortet werden. Im Friedefürst Jesus Christus. Tass Saada hatte nach zahlreichen Kriegseinsätzen zu Jesus gefunden und eine dramatische Wandlung erlebt. Und in der gleichen Zeit waren erstmals seit Jahrzehnten wieder Menschen an der Küste vom Mittelmeer getauft worden.

NHL-Stanley-Cup-Sieger coacht im Heiligen Land

Da auch in Sachen Eishockey unterwegs, traf ich gelegentlich auch auf die israelische Nationalmannschaft. Unter anderem beim Turnier der Division 2B in Izmit (nicht mit Izmir zu verwechseln) in der Türkei am Marmarameer. Kommandiert wurde die israelische Auswahl von Jean Perron, der einst mit den Montreal Canadiens als Coach den Stanley Cup (also die NHL) gewann.

Israel zu trainieren (von 2005 bis 2009 sowie von 2012 bis 2014), war für ihn eine Herzensangelegenheit: «Ich werde nicht dafür bezahlt. Dafür stellte ich eine Bedingung. Immer, wenn ich im Land bin, kann ich historische Plätze besuchen», sagte der Katholik Jean Perron im Gespräch. Ihn interessiere das Land Abrahams, auf den drei Religionen zurückgehen. Den Tempelberg besuche er immer wieder. Interessant sei auch die Altstadt. Das armenische und christliche Viertel seien sich kulturell nahe. «Bei beiden geht es um Jesus.»

An der jüngsten WM im Jahr 2023 schafften die Israeli den Klassenerhalt in der WM-Division 2A in Spanien. In der Weltrangliste liegt Israel auf Rang 33, unter anderem vor Bulgarien (37), Belgien (40) oder den Vereinigten Arabischen Emiraten (43). Auf den letzten Rängen der 56 Nationen umfassenden Weltrangliste liegen die Philippinen (54), Singapur (55) und Iran (56).

Das Land, das ungefähr halb so gross ist wie die Schweiz, ist facettenreicher als wir es aus den Nachrichten kennen. Oder hätten Sie zuvor gewusst, dass das Heilige Land über eine Eishockey-Mannschaft verfügt? Oder dass es das siebte Land ist, das den Mond umkreist hat? Auch ausserhalb der grossen Schlagzeilen ist die einzige Demokratie im Nahen Osten für zahlreiche Entdeckungen gut.

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Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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