«Hoffnung muss zu realen Schritten führen»
«Hope Schaffhausen»: Giorgio Behr, Sie bewegen sich in einem sehr komplexen Arbeits- und Tätigkeitsbereich. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?
Giorgio Behr: Wichtig sind bei Projekten und Unternehmen die klare Zielsetzung sowie die Wahl der im Tagesgeschäft verantwortlichen Personen. Diesen muss man dann Spielraum geben. Man muss sie mit kritischen Fragen unterstützen. Da hilft mir sicher die langjährige Erfahrung. Indem ich mich nicht ins Tagesgeschäft einmische, sind die Verantwortlichen selbst «Chef» und führen mit ihrem Team. Das erlaubt mir, eine Art «Coach» für mehrere Projekte zu sein. Die intensivste Belastung kommt bekanntlich aus dem Tagesgeschäft – davon halte ich mich zum Schutz meiner Leute, um ihnen Handlungsspielraum zu lassen, aber auch zum Schutz von mir selber.
Sie könnten es ja auch längst ruhiger angehen und das Rentnerleben geniessen. Wieso ist das nichts für Giorgio Behr?
Es war mir schon früh in meinem Leben als selbständig tätiger Unternehmer möglich, die Agenda zu einem grossen Teil selbst zu bestimmen. So konnte ich schon als die Kin-der klein waren rund zehn Wochen Ferien im Jahr machen, halt mal unterbrochen für einen Tag Vorlesungen oder Verhandlungen im Ausland. Tagsüber mit den Kindern was unternehmen, wenn sie im Bett waren, dann allenfalls noch was an Arbeit lesen und erledigen. Heute habe ich Zeit für unsere Enkelkinder, meine Gattin, seit kurzem zum Akkordeon spielen – aber Herausforderungen auch intellektueller Art sind nicht ungesund. Dadurch bleibe ich auch «digital» auf der Höhe, sehe in meiner BBC-Group die neusten Trends, neue Märkte wie Indien oder Indonesien. Diese Balance zwischen Freizeit – und viele meiner heutigen Aktivitäten wie Kadetten und Museumsbahn sind ja im Grunde auch Hobbies – und Führungsaufgaben, unternehmerischen Aktivitäten, ist ganz gut. Ungesund ist das nicht – wie man immer wieder bei vielen «aktiven» Rentnerinnen und Rentnern sieht, sondern im Gegenteil offensichtlich gesund.
Als Unternehmer sind Sie es gewohnt, auf Widerstände und Veränderungen zu reagieren. Wie halten Sie sich mental gesund, um mit Ausdauer weitermachen zu können?
Es ist eine gute Balance zwischen Familie, Freizeit und Hobbies einerseits sowie nach wie vor auch geistig und körperlich fordern-den Aktivitäten. Ich lese sehr viel, früher natürlich auch viel Fachliteratur, heute täglich mehrere Zeitungen und immer in vier verschiedenen Sprachen Bücher, interessante, oder spannende bzw. unterhaltsame. Ein wichtiger Schlüssel war auch immer mein starkes Bewusstsein für die Familie: Vor allem als die Kinder noch sehr jung waren, habe ich mir viel Zeit für sie genommen. Da ich eine Schwester in sehr jungen Jahren und dann auch die Eltern früh verloren habe, wurde die durch die Fremdsprachigkeit und den Einfluss meiner Tessiner Mutter ohnehin schon starke Familienorientierung zusätzlich geprägt. Von meiner Mutter habe ich gelernt: Non tutti i mali vengono per nuocere – nicht alle Übel kommen, um zu schaden, oder besser: warte mal ab, vielleicht ist das, was ich im ersten Augenblick als negativ empfinde, gar nicht so schlecht, weil ich dadurch zu einer besseren Lösung finde oder gewarnt werde vor einer negativen Entwicklung etc.
Sie sind ein Wortführer im nationalen Handballsport. Letztes Jahr feierten Sie Ihr 30-jähriges Jubiläum als Präsident der Kadetten Schaffhausen. Wie konnten Sie als Klub die Coronakrise bewältigen?
Der Verein wird seit einiger Zeit von Dr. Urs Krebser geführt, er musste sich mit seinem Team, in erster Linie dem Technischen Leiter Marco Lüthi um die Problematik im Jugend- und Breitensport kümmern. Für die vielen Talente in der Suisse Handball Academy sowie im NLB Team GS Kadetten Espoirs waren es schwierige Zeiten. Das NLA Team wurde schwer durchgeschüttelt und vermutlich hat es auch deshalb den Titel nicht verteidigen können. Nach der Reise nach Nordmazedonien ging die Ansteckungswelle – Flugzeugreisen etc. lassen grüssen – los. Mehrere Wochen lang durften auch die «negativ Getesteten» nicht trainieren. Dadurch mussten wir international und national ab Ende Januar fast alle drei Tage spielen, Reisen inklusive. Diese Belastung erhöhte das Verletzungsrisiko. So war das Team am Schluss ausgelaugt und dezimiert. Finanziell war es ein Balanceakt, da die Einnahmen aus den internationalen Spielen sowie den Playoffs wegfielen, die Kosten für Testen, Schutzmassnahmen bei Reisen etc. dagegen nicht budgetiert waren.
Aktuell initiieren Sie die Erweiterung der Sporthallen im Schweizersbild im Rahmen von ca. 20 Millionen Franken. Was erhoffen Sie sich von diesem Projekt? Der Erfolg der BBC Arena, der Suisse Handball Academy und auch die wirtschaftlichen Vorteile für die Region, welche ein Team von engagierten Unternehmern mit mir ermöglichen, hat andere Sportarten dazu gebracht, bei uns anzuklopfen. In erster Linie der erfolgreiche Tisch Tennis Club, der seinen heutigen Standort schon bald verlassen muss. Es kamen weitere Sportarten dazu. Auch für die schon heute bei uns aktiven Sportarten Volleyball, Unihockey, Taekwondo und Handball ergaben sich nach zehn Jahren gewisse Anpassungen. Zudem wertet die Stadt Schaffhausen die Aussen-anlagen mit einem Kunstrasenfeld, einer Finnenbahn sowie Beach-Sport Anlagen auf. Wir sind schon heute eines der grössten Hallensportzentren der Schweiz und werden es nachher definitiv sein, eine Art Magglingen der Nordostschweiz. Daher haben in erster Linie die Stiftungsräte Edi Spleiss, Mark Amstutz und ich diese Wünsche zusammengenommen und Ideen skizziert. Nun geht es in die Phase der Konkretisierung, die Finanzierung ist zu 75 Prozent gesichert.
Was lieben Sie denn besonders an Ihrer Heimatstadt Schaffhausen?
Ehrlich gesagt fühle ich mich – auch wegen der Muttersprache und den vielen Wochen, die wir in bescheidenen Verhältnissen im Berghaus über Carasso, erbaut von einem Ur-Ur-Grossvater von mir verbrachten – im Tessin ebenso zuhause wie in der Region Schaffhausen. Interessant ist sicher die Intensität, wie sich in der Randregion Schaffhausen viele Leute engagieren und so im Sport bspw. im Volleyball, im Wasserball, im Handball, aber auch in der Musik mit Bachfest oder «Stars in Town» national und durchaus auch international erfolgreich sind. Die schöne Altstadt, der Rhein – wobei wir da primär in meiner Wohnregion Buchberg-Rüdlingen, also schon nahe Zürich Weidlingsfahrten geniessen – Stein am Rhein oder der Rheinfall sind halt schöne, beeindruckende Orte.
Nach so vielen Jahren, in denen Sie sich mit Herzblut engagiert haben, wie blicken Sie da zurück? Hat es sich gelohnt?
Die Fragestellung ist aus meiner Sicht falsch. Die Reaktion Vieler, von ehemaligen Studenten, Rentnern meiner Unternehmens-gruppe, aus Kreisen von sportaffinen Leuten, oder Angehörigen von Leuten mit einer Beeinträchtigung zeigen mir, dass wohl viele Leute auch dank meinem Einsatz Freude hatten an dem was sie dadurch erleben, selber unternehmen konnten. Ob es sich gelohnt hat? Der schönste Lohn für mich bspw. bei Anlässen der von mir gegründeten Museumsbahnstiftung oder bei Spielen der Kadetten ist, wenn möglichst viele Leute strahlen, Freude haben. Dann freue ich mich auch.
Zur Person
Giorgio Behr ist Unternehmer, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Verleger und Professor. Er ist Gründer und Verwaltungsratspräsident der Behr Bircher Cellpack BBC sowie Präsident des Schweizer Handballklubs Kadetten Schaffhausen. Bis Ende 2015 war er für über zwölf Jahre auch CEO der Behr Bircher Cellpack BBC. Zudem ist Giorgio Behr Verleger der Wochenzeitung «Schaffhauser Bock».
Zwischen 1990 und 2005 unterrichtete Behr als Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen.
Giorgio Behr ist verheiratet und Vater von vier Söhnen.