«Der Schmerz rennt immer mit»
Rachel Pellaud kam 1995 in ärmlichen Verhältnissen auf Mauritius zur Welt. Ihre leibliche Mutter gab sie als Baby zur Adoption frei, weil sie finanziell nicht für sie sorgen konnte. Die Frau, die sie «maman» nennt, ist eine Mauriterin; sie und ihr Schweizer Ehemann lebten damals auf Mauritius, mussten jedoch in die Schweiz zurückkehren, weil er krank wurde. Kurz darauf starb der Mann, der Rachel grosszog. Zu ihrer bunten Familie, die in der Region Biel wohnt, zählt eine Adoptivschwester mit rumänischen Wurzeln.
Ross in der Startbox
Sportlich war Rachel schon immer. Als sie im TV Leichtathletik-Meetings schaute, wusste sie: «Das will ich auch: rennen!» Wie gut sie einmal sein würde, wusste sie als 15-Jährige noch nicht. Es reihten sich Erfolge an Erfolge. Ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen 2021 in Tokio war eines dieser Highlights. Bereits die Qualifikation war eine Zitterpartie, denn nur die 16 besten Teams weltweit durften antreten. «Wir haben zwar keinen Podestplatz erreicht, aber unser Schweizer Viererteam hat dort den 23 Jahre alten Schweizer Rekord der 400-Meter-Staffel gebrochen», erzählt Rachel.
Hohe Hürde Endometriose
Die Profisportlerin hat in Biel die kaufmännische Schule besucht und trainiert heute bis zu zweimal täglich mit ihrem eigenen Trainer, meist im Ausland. Ihre einzigen Einkommen sind die Sponsoringbeiträge, die sie selbst einholen muss. Diese Beiträge variieren zwischen 100 und 10'000 Franken. 2022 war kein einfaches Jahr für die Athletin. Rachels chronische Krankheit meldete sich immer wieder und vermieste ihr die Sportsaison. Man sieht der jungen athletischen Frau nichts an, seit rund zehn Jahren lebt sie mit Endometriose, eines der häufigsten Frauenleiden. Dabei verhält sich inneres Gewebe im Unterleib wie Gebärmutterschleimhaut, verändert sich bei jedem Menstruationszyklus und verursacht extreme Blutungen mit furchtbaren Schmerzen.
Etliche Jahre wurde Rachel fehlbehandelt oder musste ihre Behandlung abbrechen. Die Einnahme der Pille zur Hormonregulierung liess sie immer wieder an Gewicht zulegen, was im Spitzensport nicht förderlich ist. Zu schaffen machten Rachel auch Stimmungsschwankungen.
Mit Zuversicht unterwegs
Dennoch: Rachel Pellaud lässt sich von ihrer Krankheit nicht ausbremsen. Im Gegenteil, Ende 2022 hat sie ihre Disziplin von 400 auf 800 Meter gewechselt und wurde im Februar dieses Jahres Schweizer Vize-Meisterin. «Ich lasse mir noch einige Monate Zeit, um zu entscheiden, ob ich ganz auf 800 Meter setze oder zurück auf 400 gehe», sagt Rachel und ergänzt: «Ich fühle mich durch meine gelaufenen Zeiten und meine Fortschritte ermutigt.» Die Kraft, auch die schlimmsten Schmerzen zu überstehen und trotzdem zuversichtlich und fröhlich in die Zukunft zu schauen, schöpft sie aus ihrem Glauben an Gott. «Jesus begleitet mich immer, beim Rennen und beim Leiden!», sagt sie und lächelt. Aus ihren grossen, braunen Augen sprechen Sanftheit und Entschlossenheit. Rachel sieht das nächste grosse Ziel vor sich: die Olympischen Spiele 2024 in Paris.
Ein Herz für Schwache
Rachel Pellaud weiss, was es heisst, mit Widerständen umzugehen und Ausdauer zu zeigen. Seit 2021 macht sie sich stark für die Charity-Bewegung «Muskathlon», die durch Sportevents soziale Themen aufgreift und gemeinsam mit Partnern Projekte anpackt. So setzt sich der Muskathlon zusammen
mit dem Hilfswerk Compassion dafür ein, Kindern in Armut ganzheitliche Bildung und eine hoffnungsvolle Zukunft zu ermöglichen. Eine weitere Partnerschaft besteht mit der Organisation Glowbalact, die Frauen und Männern zum Ausstieg aus der Zwangsprostitution verhilft.
Rachel Pellaud lebt von Sponsoringbeiträgen. Ihr Hauptsponsor ist die Schuhmarke «On running».