Die Komfortzone verlassen
Wenn ein Mann mit Hut, begleitet von einem munteren Trüppchen mit Badetüchern und Gitarre zielstrebig Richtung Seequai sticht, dann gibt es fast immer etwas zu gucken. «Was liegt für eine Taufe näher als der hauseigene, herrliche Pfäffikersee?», fragt Claude Schnierl und lacht. Der bodenständige Businessman lebt seinen christlichen Glauben unbefangen, spricht mit Freunden und Fremden gern über Gott. Sein Vorbild ist Jesus Christus. «Er liebt
alle Menschen und verurteilt niemanden. Selbst einmal Mensch auf dieser Erde, teilte er sein Leben, diente, half und heilte, wo Not herrschte», erklärt Schnierl. «Diesen Jesus-Stil möchten wir mit unserem Open House leben.»
Der Unruhestand
Ursprünglich planten Claude und Bea Schnierl, mit gleichaltrigen Freunden ein Haus zu bauen und «zusammen gemütlich die Pension zu geniessen», wie es Bea formuliert. Claude erläutert: «Meine Zeit als Geschäftsführer im Bereich Seniorenbetreuung hat mich stark geprägt. Einsamkeit im Alter ist ein grosses Thema, und ich denke auch dem Individualismus in unserer Gesellschaft geschuldet. Viele Menschen schotten sich ab und bleiben im Alter allein.
Das wollten wir auf keinen Fall erleben.» Bea, die gern und gut für Gäste und auch das ganze Haus kocht, verrät: «Unser Sohn Timon hat uns aus der Komfortzone geholt mit begeisterten Berichten anderer Open-House-Gemeinschaften und seinen Vorstellungen einer Kirche jenseits von Mauern.
Kurzerhand haben wir unser Vorhaben umkonzipiert.»
Menschenorientiert
Das Projekt der «Offenen Häuser» nahm 2014 in Thun seinen Anfang. Heute gehören in der Deutschschweiz zwölf Häuser resp. Wohngemeinschaften zu OPENHOUSE4CITIES, wie die Bewegung offiziell heisst. Alle verbindet der Fokus nach aussen, hin zu den Menschen; sei dies am Arbeitsplatz, im Zug, auf der Strasse oder beim Einkaufen. Bewohnerinnen und Bewohner investieren bewusst Zeit und Ressourcen, um ihr Leben und ihren Glauben zu teilen und Menschen für Gottes Liebe zu gewinnen. Gastfreundschaft wird dabei grossgeschrieben. Claude und Bea Schnierl erleben: «Menschen, die ihren Fuss nie in eine klassische Kirche setzen würden, zeigen Interesse an Gott und öffnen ihm ihr Herz. Das freut und beflügelt uns.» Claude gibt offen zu, dass er bezüglich anderer Kirchen und deren Formen sein Denken korrigieren musste: «Man läuft schnell Gefahr, sich über andere zu erheben. Das ist nicht richtig, wir gehören alle zu Gottes Familie.»
Eigene 3G-Regel
Im Februar 2021, nach eineinhalb Jahren Bauzeit, hatte sich das Open House Pfäffikon rasch mit Leben gefüllt. Nebst den «Hauseltern» und deren Kindern Timon (26) und Priscilla (24) zogen junge Familien und Singles in die sieben Wohnungen ein. Die WG unterm Dach bietet sechs heimelige Zimmer auf Zeit. Im ganzen Haus, das mit Solarstrom gespiesen wird, dominieren Sichtbeton und helles Holz. «Timon ist Zimmermann, wir haben bei diesem Bau nichts dem Zufall überlassen», sagt Claude Schnierl, nicht ohne Vaterstolz. Grosszügige Kellerräume, eine Tiefgarage und ein Umschwung mit Gemüsegarten gehören dazu. Herzstück des Open House Pfäffikon ist die grosse Gemeinschaftsküche im Erdgeschoss mit Esstischen und Sofas. Als Covid-Restriktionen die Gemüter erhitzten, fand sich vor dem Haus ein schwarzes Klappschild. Darauf stand: «Hier gilt 3G: Geliebt, Gewollt, Gesucht! Herzlich willkommen!»
Einheit will erarbeitet sein
Diese Willkommenskultur und die Orientierung nach aussen wollen gepflegt sein. «Jeden Donnerstag findet unser Familien-Abend statt», erzählt Claude Schnierl. «Wir essen zusammen, singen, tauschen uns über Bibelpassagen aus, beten und beschäftigen uns mit unserem Innenleben. Nur wenn wir regelmässig den Kropf leeren, einander vergeben, ermutigen und uns neu auf Jesus ausrichten, können wir als Einheit nach aussen wirken.»
Diese Einheit ist nicht selbstverständlich. Bea spricht die vielfältigen Aufgaben und den Ämtliplan an: «Am Anfang lief es gut, dann blieben immer mehr Lücken auf der Liste. Ohne Konflikte geht es nicht, das fordert uns alle heraus, lässt uns aber auch reifen.» In Ordnungsbelangen hat vor allem der Hausvater lernen müssen, die Fünfe gerade sein zu lassen. Claude Schnierl sagt: «Als es nach einem halben Jahr immer mehr Schadstellen und Flecken gab, tat mir das weh. Nicht alle verstehen und leben Sorgfalt, Sauberkeit und Erziehung gleich. Dieses gemeinschaftliche Leben ist eine intensive Charakterschule. Ich übe mich in Nachsicht und Liebe.» Dazu gehöre auch, den Dreck von anderen wegzuräumen, ohne negativen Gedanken Raum zu geben.»
Mit offenen Augen unterwegs
So schön ihr neues Zuhause ist, Claude und Bea Schnierl sind gern unterwegs. Mit Vorliebe logiert das Paar auf Campingplätzen, offen für Natur und Menschen – und für Gottes Stimme. Am Morgen beten sie, dass er ihnen jemanden über den Weg laufen lasse, dem sie dienen können; sei dies durch
Zuhören, praktische Hilfe oder Gebet. Bea erzählt von einer B&B-Unterkunft, in der sie letzten Sommer übernachteten. «Wir spürten, dass es der Chefin nicht gutging und sprachen sie darauf an. Sie erzählte von Alkoholproblemen und schüttete uns ihr Herz aus. Die Frau wurde offen für Jesus und war dankbar für unser Gebet.» Claude Schnierl bekräftigt: «Die Botschaft von Jesus ist nach mehr als 2'000 Jahren topaktuell, eine Konstante in dieser lüchtigen, brüchigen Welt. Bei Jesus finden wir Orientierung und Sinn für unser Leben. Alle Menschen sollen erleben, dass er uns von dem befreit, was uns belastet, dass wir bei ihm Hoffnung und Zukunft finden!»
Zur Webseite:
Open-House4Cities
Autor:
Manuela Herzog
Quelle:
HOPE-Regiozeitungen