«Ich kann mich auch mal aufregen…»
HOPE: Sie sind die erste Verteidgungsministerin der Schweiz. Macht Sie das stolz?
Viola Amherd: Stolz ist das falsche Wort. Es macht mir Freude, Ideen einzubringen und mit anderen zusammen Projekte umzusetzen, die der gesamten Bevölkerung dienen. Ich kann in meiner Funktion vieles bewirken.
Als Vorsteherin des VBS sind Sie Chefin eines eher von Männern geprägten Departements. Sie haben nie Militärdienst geleistet. Fühlen Sie sich trotzdem akzeptiert?
Auf jeden Fall, ich bin viel offener aufgenommen worden als gedacht. Es war für alle neu, eine Frau an der Spitze zu haben. In der Armee finden sich tatsächlich nicht viele Frauen. Ich liebe Herausforderungen, habe die Dossiers gut studiert, mich in die Themen eingearbeitet und mit den Leuten das Gespräch gesucht. Man merkte schnell, dass ich Interesse zeige und mich einsetze, dass es mir um die Sache geht und darum, gemeinsam etwas zu erreichen. Auch wenn wir nicht immer überall gleicher Meinung sind oder ich neue Aspekte einbringe, wurde dies bisher positiv aufgenommen.
Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs rüsten viele Staaten auf. Sind dadurch andere Bedrohungen, etwa Angst um Versorgungssicherheit und Klimawandel, in den Hintergrund gerückt?
Ich denke nicht. Sicherheit muss gesamthaft verstanden werden. Mein Departement, das VBS, ist für Landesverteidigung und Bevölkerungsschutz zuständig. Das Energiedepartement zum Beispiel für die Energieversorgung oder das Wirtschaftsdepartement für den Nachschub an lebenswichtigen Gütern. Keinesfalls darf man eine Gefahr gegen eine andere ausspielen. Alles hängt miteinander zusammen, auch der Klimawandel und die Sicherheit.
Wenn durch den Klimawandel mehr Unwetter oder Naturkatastrophen eintreten, wirkt sich dies direkt auf mein Departement aus. Dann muss das Bundesamt für Bevölkerungsschutz mit der Armee bei der Bewältigung von Naturereignissen mithelfen. Wir sind gut beraten, wenn wir versuchen, uns in allen Bereichen vorzubereiten, die Zusammenhänge zu verstehen und unser Möglichstes zur Prävention zu tun.
In der jährlichen Sorgenstudie von moneyland.ch vom April 2022 rangiert der Ukraine-Krieg auf Platz 1, gefolgt vom Klimawandel. Nehmen Sie die Ängste der Bevölkerung wahr? Und wie antworten Sie darauf?
Ich teile die Sorgen der Bevölkerung. Ich bin auch Teil der Bevölkerung und stehe regelmässig im Austausch mit den unterschiedlichsten Leuten. Am allerwichtigsten erachte ich, gut zu informieren, was der Bund unternimmt, um Land und Leute vor Gefahren zu schützen. Hier braucht es Offenheit und Transparenz. Unser Land verfügt über hervorragende Strukturen und gut funktionierende Organisationen. Mit einem unmittelbaren militärischen Angriff
müssen wir aber nicht rechnen. Das ist so und das darf man auch so sagen.
Immer wieder hört man Stimmen, die vor einem möglichen Atomschlag warnen.
Ja, diese Angst besteht, das zeigen zahlreiche E-Mails und Briefe aus der Bevölkerung. Auch hier sind wir vorbereitet und strukturell gut aufgestellt. Mit unserer nationalen Alarmzentrale, die gemeinsam mit der Internationalen Atomenergie-Agentur ständig Messungen vornimmt und Abklärungen trifft, erfahren wir früh, wenn irgendwo ein nukleares Ereignis eintreten sollte. Das gibt uns zeitlichen Spielraum, unsere Massnahmen zu treffen. Es sind Krisenstäbe im Einsatz und im Notfall sind wir handlungsbereit. Aber wir wissen natürlich auch, dass man nie alles hundertprozentig im Griff haben kann.
Welche drei Punkte stehen auf Ihrem persönlichen Sorgenbarometer zuoberst?
Erstens der Ukraine-Krieg. Er betrifft mich in meiner Funktion und persönlich sehr stark. Es ist himmeltraurig zu sehen, was die Bevölkerung durchmachen muss. Auch die Auswirkungen auf die Stabilität weltweit, insbesondere auf Europa, sind gravierend.
Zweitens liegt mir der Zusammenhalt in unserer Bevölkerung sehr am Herzen. Die politische Polarisierung, wie zum Beispiel in den USA, belastet die Gesellschaft. Meine Sorge ist, dass dieser Trend auch die Schweiz zunehmend erfasst. Hier müssen wir Gegensteuer geben. Momentan erlebe ich unsere Gesellschaft als solidarisch, man hilft sich und ist rücksichtsvoll. Wichtig ist, dass wir weiterhin offen und respektvoll aufeinander zugehen und im Dialog bleiben, auch wenn sich Meinungen oder Lebenseinstellungen nicht decken.
Drittens, der Klimawandel und die gesamte Umweltthematik. Ich mache mir Sorgen um den Erhalt der Biodiversität und um die nachkommenden Generationen, die vielleicht nicht mehr in einer intakten Umwelt leben können.
Von den Sorgen zur Hoffnung: Haben Sie angesichts der geopolitischen Situation noch Hoffnung auf eine Welt in Frieden?
Ich denke, man muss realistisch bleiben. Dass es irgendwann weltweit keine Konflikte mehr geben wird, darauf kann man nicht hoffen. Die Schweiz leistet international einen wichtigen Beitrag für den Frieden. Sei dies, indem wir versuchen zu vermitteln oder durch Friedensförderungs-Einsätze der Armee und Humanitäre Hilfe. Unsere Armee war eine der ersten ausländischen Organisation, die medizinisches Material und andere Hilfsgüter in die Ukraine brachte. Meine Hoffnung ist, dass wir uns weiterhin global für Frieden und Stabilität einsetzen. Dafür mache ich mich stark.
Was gibt Ihnen persönlich Hoffnung im Leben?
Der Zusammenhalt in der Gesellschaft während der Covid-Pandemie hat mich beeindruckt. Wenn ich sehe, dass man sich gegenseitig unterstützt, solidarisch ist und jenen hilft, die es am nötigsten haben, dann gibt mir das Hoffnung, auch für die Zukunft.
Und wer sind für Sie die Hoffnungsträger dieser Welt?
Hoffnungsträger sind für mich all die Menschen, die sich um andere kümmern.
Bei Ihrer Vereidigung im Dezember 2018 beriefen Sie sich auf Gott und die Dreifaltigkeit. War das für Sie ein Ritual oder hatte es eine tiefere Bedeutung?
Es ist ein Ritual, das dazugehört, aber für mich auch eine Bedeutung hat. Gerade wenn man ein Amt mit einer solchen Verantwortung antritt, ist es wichtig, sich der Unterstützung von oben bewusst zu sein.
Woher nehmen Sie die Kraft für Ihre vielfältigen Herausforderungen?
Die Grundkonstitution ist sicher zentral. Ich habe grosses Glück, dass es mir gesundheitlich und mental gutgeht. Ein weiterer, wichtiger Faktor ist das Umfeld. Meine Familie und mein Freundeskreis unterstützen mich und geben mir einen sicheren Rahmen. Ich kann mich auch mal aufregen, ohne dass das am nächsten Tag in der Zeitung steht. Auch in der Natur erhole ich mich und tanke Kraft. Wenn ich am Wochenende Zeit habe, ins Wallis zurückzukehren, dann gehe ich wandern, biken oder im Winter Ski fahren.
Welchen Stellenwert hat heute Ihrer Meinung nach die Kirche?
Für viele Menschen ist die Kirche wichtig, da sie hier und insbesondere im Glauben Halt finden.
Sind Sie privat in der Kirche anzutreffen?
Ja, das bin ich, wenn ich für einen Moment innehalten möchte oder irgendwelche Anlässe erfreulicher oder weniger erfreulicher Art stattfinden. So gesehen bin ich regelmässig in der Kirche, auch wenn ich nicht jeden Sonntag den Gottesdienst besuche. Habe ich einmal ein freies Wochenende, gehe ich gern in die Natur oder bleibe bei schlechtem Wetter zu Hause…
Welche Bedeutung hat der Name Jesus Christus für Sie?
Dieser Name hat für mich eine sehr weitläufige Bedeutung. Ich bin im katholischen Glauben aufgewachsen und habe alle Elemente wie Taufe, Erstkommunion und Firmung mitgemacht. Feste wie Weihnachten oder Ostern verbinde ich mit dem Namen Jesus Christus und denke dabei an den Ursprung, auf dem alles aufgebaut ist.
Viola Amherd, vielen herzlichen Dank für das Gespräch!
Zur Person:
Wo ist Ihr Lieblingsplatz in Ihrer Heimatstadt Brig (VS)?
Irgendwo in Brig-Glis. Dort gibt es so viele schöne Plätze, ich möchte mich nicht auf einen festlegen.
Wie entspannen Sie sich nach einem anstrengenden Tag?
Am liebsten auf dem Bike, beim Spazieren oder mit Musik hören.
Welches Buch liegt aktuell auf Ihrem Nachttisch?
«Die Verlockung des Autoritären» von Anne Applebaum.
Auf welche App möchten Sie auf keinen Fall verzichten?
Natürlich auf swisstopo und Alertswiss aus meinem Departement.
Wofür sind Sie in Ihrem Leben dankbar?
Für meine Gesundheit und die Unterstützung durch meine Familie und meinen Freundeskreis, ohne die ich meine Funktion nicht ausüben könnte.
Was war bisher Ihre mutigste Tat?
Ernsthaft: wahrscheinlich meine Kandidatur für den Bundesrat. Weniger ernsthaft, dass ich mich von einem Regionalfernsehen zum Wakeboarden auf dem Thunersee überreden liess. Ich wusste nicht genau, was das ist und dachte, es würde schon irgendwie gehen. Doch das Ganze endete mit einer Zerrung.